Rebonding – wenn das Bonding nach der Geburt verpasst wurde. Das sanfte willkommen zu Hause, ein Heilbad für die Seele
Nicht selten verläuft eine Geburt anders als geplant. Es kommt zu einem ungeplanten Kaiserschnitt oder das Kind muss nach der Entbindung von einem Kinderarzt oder der Kinderklinik betreut werden. Mutter und Kind werden getrennt. Durch diese kurze oder manchmal längere Trennung, passiert viel mehr wie wir häufig annehmen. Die Milchproduktion kommt ins Stocken, das Liebeshormon wird reduziert, die Mutter fühlt sich schlecht, hat Schuldgefühle oder erhält plötzlich gar keinen Bezug – keine Bindung mehr zu ihrem Baby. Das unsichtbare Band zwischen Mutter und Kind wurde durchtrennt. Manche Frauen kompensieren diese Lücke durch Gespräche, durch ihren Partner oder die Familie, aber manche Frauen fallen auch in eine tiefe, schmerzhafte Depression.
Ich bin keine Psychologin oder Statistikerin. Ich bin keine Traumaexpertin und habe auch nicht Verhaltensweisen studiert. Ich kann Dir hier nur meine Erfahrung als Hebamme wiedergeben. Verstehe auch, dass nicht jeder ungeplante Kaiserschnitt oder jede Trennung von Deinem Kind ein Trauma oder eine Depression hervorrufen muss.
Trotzdem möchte ich dieses wichtige Thema heute in meinen Blog aufnehmen. Wenn es nur eine auf hundert Frauen gibt, die ich mit diesem Beitrag erreichen kann, dann wäre das wunderbar. Ich erlebe die Frau zuhause mit Schuldgefühlen und Unverständnis. Auch Wut und Zorn auf die Entbindungshelfer. Welche sicherlich, aus einer Not heraus, dass Kind von der Mutter getrennt haben.
Ich widme diesen Beitrag Ana Isabell, und möchte Dir heute ihre Geschichte erzählen:
Ich lerne diese wunderbare Familie dieses Jahr im Frühjahr kennen. Ana kommt aus Spanien, sie hat dort mit behinderten Kindern in einer speziellen Einrichtung gearbeitet. Ana hat bereits zwei wundervolle Mädchen geboren. Ihre Kinder wurden völlig komplikationslos, spontan in Spanien geboren. Sie konnte die Mädchen anlegen und lange Stillen. Alles in allem normal und komplikationslos. Nun ist Ana in Deutschland – schwanger mit ihrem dritten Kind. Diesmal ein Junge, der sich ganz besonders wie er ist, in eine Steißlage (Beckenendlage) gedreht hat. Geburtsmöglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In dieser Geschichte, stimmten die Rahmenbedingungen leider nicht. Denn der Knabe, drehte sich nicht in eine Schädellage und hatte mit einem etwaigen Schätzgewicht um die 3800g eine Empfehlung zum Kaiserschnitt. Ana ist verunsichert. Sie hatte zweimal komplikationslos geboren, was soll sie nun tun. Sie spricht noch nicht so gut Deutsch, versteht nicht alles und hat Angst etwas falsch zu machen. Sie möchte nur das beste für ihren Sohn und entscheidet sich für einen Kaiserschnitt, der ihr geraten wurde. Ein paar Tage später der Corona-Lockdown. Ana muss alleine in die Klinik zur Vorbesprechung. Sie hat panische Angst vor der OP oder doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Ana versteht aufgrund der Sprachbarriere leider nicht alles. Sie wird alleine, ohne ihren Mann in den OP gefahren. Ein paar Minuten später hört sie, dass ihr Sohn wohl geboren wurde, aber nicht richtig schreit. Sie wartet – nichts. Ihren Sohn hat sie noch nicht gesehen. Er wäre bei den Kinderärzten, müsste versorgt werden. Wieder warten. Nichts. Der Arzt spricht mit ihr, sie versteht es nicht, sie ist viel zu emotional um sich jetzt auf die Sprache zu konzentrieren. Wörter die sie nicht kennt. Ihr Sohn, er ist weg. Wurde von den Kinderärzten mit einer Anpassungsstörung in die Kinderklinik verlegt. Ana weint. Alleine – vermutlich hat sie sich noch nie so alleine gefühlt wie jetzt. Nach der Operation verbringt Ana zwei Stunden im Aufwachraum, bis sie endlich in den Kreißsaal zurückdarf. Ihr Sohn wartet leider nicht auf sie. Er wurde stationär aufgenommen. Zum Wohl des Kindes und aus medizinischer Sicht bestimmt richtig. Für die Mutter ein Desaster. Ana bekommt eine Milchpumpe, sie soll pumpen, gute Milch für ihr Kind heißtes.
Ich erhalte einen Anruf von Anas erstgeborener Tochter die perfekt deutsch spricht. Ihre Mama hätte ein Kind geboren per Kaiserschnitt. Fast zwei Wochen ist das jetzt her. Und der kleine Junge schreit nur, geht nicht an die Brust, muss wohl mit Pre-Nahrung zugefüttert werde. Hat Bauchweh und erbricht jede Mahlzeit und die Mama weiß nicht mehr weiter. Vermutlich weiß jeder von euch, wie schwer es ist eine Hebamme zu bekommen. Ana hatte im Vorfeld auch keine Hebamme – beim dritten Kind dachte sie sich, das werde ich schon schaukeln, habe es ja zweimal schon hinbekommen. Ich besuche die Familie in ihrem zu Hause. Die Mutter war völlig verzweifelt, der Kleine hatte wirklich schlimme Bauchschmerzen und schrie wie verrückt. Das Stillen klappte überhaupt nicht und Ana hatte massive Schuldgefühle. Sie war so traurig und die ganze Familie versuchte sie ermuntern, aber Ana sah sich in der Schuld für die Situation in der nun alle waren. Sie war Schuld an dem Kaiserschnitt, sie war Schuld an der Anpassungsstörung, an den Bauchschmerzen, sie war Schuld an der fehlenden Milch und sie war Schuld an ihren Tränen, die sie nicht aufhalte konnte ….
Mir war sofort klar, wir müssen das unsichtbare Band zwischen Mutter und Sohn wieder zusammenbringen. Wir vereinbarten einen Termin für ein paar Tage später. Die großen Mädchen durften spielen, während die Eltern mit mir das Rebonding durchgeführt haben. Wir dunkelten Räume ab, schaffte eine liebevolle, ruhige Atmosphäre. Wir zündeten Kerzen an und legten eine Entspannungsmusik auf. Wir stellten mitten im Wohnzimmer eine Babywanne auf und befüllten diese mit 37°C warmen Wasser bis zum Rand. Nun wurde der kleine Knabe nackig in ein Stofftuch gewickelt. Dies symbolisiert die Fruchtblase und er wurde sanft in das warme Wasser gelassen. Dort wurde er liebevoll von seinen Eltern durch das Wasser gezogen. Der kleine Mann strampelte sich irgendwann ganz leicht und ohne weinen aus seinem Tuch. Nun nahm der Vater mit nacktem Oberkörper das Kind aus der Wanne, drückte es feste an seine Brust, wo es warm war und er den Herzschlag seines Vaters hörte. Ana war ebenfalls mit befreitem Oberkörper und nahm nun das Baby von ihrem Mann entgegen. Sie sagte ihm alles, was ihr auf der Seele und dem Herzen lag. Ihr Sohn hörte aufmerksam zu. Während Ana und ihr Mann sehr emotional auf Neuanfang zurück gingen. Alles durfte raus, alles wurde auf null gesetzt. Der Junge war jetzt zuhause angekommen. Ich schloss die Türe hinter mir und vergoss selbst ein paar Tränen.
Seit diesem Tag, hat Ana weder zugefüttert noch hatte der Kleine Mann Probleme mit der Verdauung. Ana stillt voll. Das Band war jetzt da. Es war feste gespannt und all ihre Zweifel, ihre Schuldgefühle primär verflogen. Ana hat noch lange mit ihren Schuldgefühlen zu kämpfen und meldet sich heute noch oft bei mir. Ihr Sohn hat sich absolut toll entwickelt. Das Rebonding hat das unsichtbare Band zwischen ihr und dem Sohn wieder feste gespannt. Sie erkennt seine Hungeranzeichen und fühlt sich in ihrer Mutterrolle wieder wohl. Auch der Kleine hat sich durch das Rebonding neu entwickelt. Kein Schreibaby mehr, die Verdauung gut. Voll gestillt, ein Sonnenschein und Strahlemann.
Ich denke, Du hast einen guten Eindruck von Rebonding bekommen. Nächste Woche werde ich wieder ein Rebonding mit einer Familie durchführen. Zum sechsten Mal in diesem verrückten Jahr. Ich danke Ana und ihrer Familie von ganzem Herzen, dass ich ihre Geschichte mit Dir heute teilen darf. Vielleicht bist auch Du aus einem medizinischen Beruf oder kennst solche Situation – vielleicht gibt Dir diese Geschichte auch einen Denkanstoß, wie wichtig es ist, niemals Mutter und Kind zu trennen, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Wenn Du mehr Informationen zum Thema Rebonding benötigst, wende Dich unbedingt an Deine Hebamme oder benutze das Kontaktformular. Ich würde mich über zahlreiche Kommentare freuen, Ermutigungen an Ana werde ich gerne weiterleiten.
Herzlichst, Deine Hebamme in den Bergen